Sonntag, 8. Juni 2014

Was siehst du wenn der Regen kommt?

Eine dunkle Wolke bäumte sich am Himmel auf. Regenwetter war im Anmarsch,
und jeder wusste, es wurde Zeit. Alles musste von den Terassen, den offenen Dächern und den Balkonen ins trockene gebracht werden. Der Hebel wurde betätigt und das Gebäude ruckelte. Wenn solche dunkle Wolken ihr Territorium bedeckte, waren alle in Sorge, dass der kleine See in der Mitte, den die runde Burg wie ein Ring umrundete, das Wasser durch die Türen und Fenster spülen würde.
Larson schlüpfte bedächtig durch die Luke und stellte sich auf die kleine Steinerhebung der Mauer. Schritt für Schritt bewegte er sich vorsichtig am schmalen Rand fort und ließ durch sein Gewicht einige Bröckel den Abhang hinabfallen. Er tat das öfter, heimlich, vorsichtig. Und jedes Mal war es Magisch, das Wasser zu sehen, das so weit entfernt war, aber dennoch näher als er dachte. Die Furcht vor dem Fall ließ ihn besondere Vorsicht walten. Er hielt sich klammernd am Gestein fest, sodass seine Knochen Weiß aus seinen Händen hervorstachen. Über ihm am grauem Himmel donnerte es laut und eine der ersten Tropfen traf ihn direkt auf der Nase. Er durfte sich nicht aus dem Gleichgewicht bringen lassen, das durfte er nicht, nie. Er hielt inne. Es krachte laut vor sich hin und die Tropfen vervielfältigten sich, bis nur noch ein Fluss vom Himmel hinabströmte. Der See stieg weiter an. Wieder betägtige jemand den Hebel. Alles ruckelte. "Scheiße!" schrie er und krallte sich noch mehr fest. Wie war er auf die Idee gekommen, bei so einem Wetter die Mauer entlang zu krakseln? Jetzt war es wohl eh zu spät. Er griff nach einem Fensterrahmen. Der Regen durchtrank ihn. Alles war nass. Seine Haut schien schon vor Nässe zu triefen. Er zitterte vor kälte. Er zitterte vor Angst. Er könnte sterben. Das Fenster riss auf. Er schwang um. Er verlor den Halt. 'Niemand macht das Fenster bei so einem Wetter auf.' war sein letzter banaler Gedanke, bevor er abrutschte. Jemand griff nach ihm. Jemand zog ihn durchs Fenster ins Trockene. Jemand schmiss ihn wie einen Lappen in eine Ecke, in der auch Kohle lagerte. Alles schepperte. Er war Nass und Rußschwarz. Seine Brust schmerzte. Seine Lunge brannte. Sein Herz krampfte. Ihm war kalt. Und trotzdem lachte er. Er lachte bei dem Gedanken, dass er sich erkälten würde. Wer hatte ihn nochmal gerettet? Er sah auf. Da war aber absolut niemand. Der Raum war stockduster. Durch das Fenster zogen Kälte und Regen hinein. Neben ihm ein großer Ofen, aus dem Wärme ströhmte. Welch ein Segen. Er lebte. Welch eine Bestrafung. Er lebte. Und er lachte noch mehr, dass ihm die Brust vor Schmerzen fast zu explodieren drohte. Das war einfach nur eine dämliche Idee. Doch er tat es immer wieder, wenn ihm die Brust schmerzte und die Melancholie ihn wegtrieb. Bis ihn etwas aufhielt. Die Ecke, die Grenze, der schmale Weg umgeben von Schlick, der weg von der Burg führte. Der einsame Weg. Einsam wie er selbst.
Ein leichtes Ziel. Doch das war er schon immer gewesen. Mit leerem Blick an die Holzdecke schlief Larson ein. Die Hand fest um das Amulett verschlossen, dass er einst geschenkt bekommen hatte. Die Augen fest um den zu schützenden Geist verschlossen. Um den Geist, dass in seinem Körper ruhte. Er hörte ihre Stimme im Schlaf "Larson, Larson, Larson.". Hörte das Lächeln in ihrer Stimme. Doch sehen konnte er nichts. Da war nur Schwärze.

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